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Leonhard Lorek in Kreuzberg

January 17, 2010

Kürzlich noch von der Schwermütigkeit gestreift,hat es mich am Samstag nach Aussen gedrängt,oder besser gesagt gezogen. Im Schlepptau von U. ging es zu Leo nach Kreuzberg 61,wo ich Mitte der 90er ein paar Jahre lebte.
Im Dezember letzten Jahres bekam ich von einer langjährigen Freundin den liebevoll verarbeiteten Lyrikband “Daneben Liegen” von Leonhard Lorek mit Illustrationen von Gösta Wellmer in einer Berliner Taverne geschenkt. Gestern Abend wurde der Band in der “Lettrétage” in der Methfesselstrasse 23-25 vorgestellt. Jörg Sundermeier – mir eher als der Autor des” letzten linken Studenten” in der jungle-world bekannt – ist es als Verleger der Verbrecherei gelungen, Leo Lorek zur Veröffentlichung seiner Gedichte zu bewegen. So kommt das lyrische Debut des bekannten Künstlers mit 52 Lebensjahren möglicherweise nicht gerade früh,ein Beweggrund für die jetzige Veröffentlichung war wohl die Diagnose der aktuellen Krisenhaftigkeit der Gesellschaft.

In einer prekären Phase ist die beste Zeit für Gedichte, es kann wieder neu über Zeit und Wert nachgedacht werden. Für Leo Lorek “haben Gedichte in etwa so zu wirken wie Calgon: Kalk lösend und Verkrustungen aufhebend”. Damit meint er aber nicht,den Leser oder Lesungszuhörer mit allerlei kunstfertiger lyrischer Vortragsakrobatik betören zu müssen. Er überlässt die therapeutische Wirkung seiner Lyrik viel lieber dem geneigten Leser,der den Klang der Buchstaben und Worte im eigenen inneren Selbst zum schwingen bringen möge – quasi als Möglichkeit zum entkalken vermeindlicher Sicherheiten und störender Anhaftungen. Es geht also um ganz praktische Ontologie.

Der Einleitungsessay “Wirtschaft,Tod und zehn Gedichte” gibt dem Leser einen Kompass in die Hände. Es wird über die Gestalten der Krise, Rimbaud und Brecht die biographische Route zum Erlebnis von Dichtung geschrieben. DenWeg dahin sollte  der Leser aber immer selbst beschreiten. Dichtung kann auch nur schön sein,den Bücherschrank vollstellen, den Klang von Smörebröd Rompömpöm annehmen, taubgrüner Ginst im Musenhain.. So würde sie aber nichts weiter zur eigenen Beförderung beitragen. In Krisenzeiten brechen Sicherheiten schneller weg, die Seele ist verletzlicher aber auch eher offen für neue Ansichten.

Ein Mensch kann mit seinen Ansichten,Haltungen und Sicherheiten auf zweierlei Weise daneben liegen. Entweder, man hat sich über eine ganze Zeit über etwas hinweg getäuscht und möchte das abändern oder man liegt daneben und ist nur passiver Zuschauer und beweint vielleicht noch seine Opferrolle. Beiden Grundhaltungen kommen die verdienten Gedichte zu. Die Entscheidung trifft natürlich immer der Leser.

Einen geradezu sympathischen Bonus hat Leo Lorek noch in der anschliessenden Diskussion erworben. Es wurde kritisch nachgehakt,warum er  seine Gedichte denn  nicht vorlesen möchte?  Die Lesung bestand aus der Rezitierung des Eingangsessays und eines Gedichts.
Ganz einfach: Die längere Vorleserei von Lyrik ist 1. ermüdend und 2. nicht zielführend. Wenn ein Gedicht beim Leser nicht anklingt, hat entweder der Leser oder der Autor etwas falsch gemacht – oder Beide. Die Vorgabe über eine Autorenvorlesung kann beide Punkte nicht heilen, eher vernebelt sie die eigentliche Vergnügung oder Erschütterung des Lesers. Also: Lorek Lesen,lesen,lesen … sonst rieselt ganz schnell oder schlimmer, ohne dass man es merkt, der Kalk.

Lyrik von Leo Lorek

PS:

Den Lyrikliebhabern in Berlin sei auch noch in das Stammbuch geschrieben: Ja,es ist Januar und es ist kalt,glatt und wenig erbaulich da draussen. Denn es ist Winter,da kann man sich angemessen kleiden.Feste Schuhe,eine lange Unter- oder Strumpfhose schützen den Leib vor diesem Ungemach. Zur nächsten Lesung von Leo Lorek wären Wetterunwägbarkeiten keine gute Begründung zum Fernbleiben.

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